Wege zum Wohnraum: Die Platte kehrt zurück

Bezahlbarer Wohnraum muss her. Deshalb setzen Politik und Wirtschaft jetzt auf Mietskasernen aus der Fabrik. Wäre da nur nicht deren mieses Image. 14.02.2017, von Judith Lembke, Faz

Besser, billiger und schneller“ lautet der Titel einer Rede, die der russische Generalsekretär Nikita Chruschtschow im Dezember 1954 in Moskau gehalten hat. Es ging um die Zukunft des Wohnungsbaus.

Mehr als 60 Jahre später werden in Deutschland fast täglich Reden geschwungen, die alle genau diesen Titel tragen könnten. Landauf, landab fordern Politiker, Verbandspräsidenten und Wohnungsunternehmer genau das: Es müssen viele neue Wohnungen her, 350.000 Stück jedes Jahr bis 2020, schätzt das Bundesbauministerium, und günstig sollen sie auch sein. Denn bezahlbarer Wohnraum in den Ballungsräumen ist knapp und immer teurer. Gebaut wurden im vergangenen Jahr nur 270.000 Wohnungen, und billig waren die wenigsten davon. Seit dem Jahr 2000 sind die Baukosten, vor allem aufgrund strengerer Auflagen, um 40 Prozent gestiegen.

Nach Ansicht von Chruschtschow gab es nur eine Möglichkeit, die Wohnungsnot zu bekämpfen: Das Bauwesen müsse industrialisiert werden, an die Stelle des Maurers auf der Baustelle müsse der Arbeiter in der Fabrik treten, an die Stelle des Unikats die Serienfertigung. Jetzt, da Massenwohnungsbau wieder gefragt ist, besinnt man sich auf die alten Konzepte. Wer Wohnungen in großer Stückzahl, kurzer Zeit und guter Qualität bauen wolle, komme um serielle Bauweisen nicht herum, sagt Marcus Becker, Vizepräsident des Hauptverbandes der deutschen Bauindustrie. „Statt teure Unikate zu planen, müssen künftig stärker Prototypen geplant und deutschlandweit in Serie umgesetzt werden.“

Einmal entworfen, genehmigt und gebaut, soll derselbe günstige Gebäudetyp vom Fließband am besten bald von Flensburg bis Füssen zum Einsatz kommen. Das sieht man auch im Bundesbauministerium so. Ministerin Barbara Hendricks (SPD) hält industrielle Bauweisen für einen Schlüssel, um schnell bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, und hat zu dem Thema eine Arbeitsgruppe gegründet. Die ökonomischen Vorteile sind bestechend: Dadurch, dass die Fertigung möglichst vieler und großer Bauteile von der Baustelle in die Fabrik verlagert wird, sinken die Produktionskosten – nicht zuletzt, weil die lohnintensiven Arbeiten nun von Maschinen erledigt werden können. Die Bauzeit wird deutlich verkürzt, der Prozess macht sich weitgehend unabhängig von Wetter und Klima. Die Qualität hingegen steigt, weil in der Fabrikhalle präziser gearbeitet werden kann als auf dem Bau.

Doch in Deutschland, vor allem im Westen, hat der serielle Wohnungsbau keinen guten Ruf, und auch das hat mit Chruschtschow zu tun. Denn die Plattenbauten, mit denen die Länder des Ostblocks hunderttausendfach überzogen wurden, um die Wohnungsnot der Nachkriegsjahre zu lindern, gelten als monoton und gleichgeschaltet. Jeder Mensch wurde in denselben Grundriss gequetscht, unabhängig von seinen persönlichen Bedürfnissen.

Moderne serielle Wohnhäuser für unter 10 Euro pro Quadratmeter

Im Westen des Landes, wo vor allem Großsiedlungen an den Stadträndern aus den immer gleichen Bauteilen zusammengefügt wurden, speist sich ihr negatives Image dazu noch aus den sozialen Schwierigkeiten der Quartiere: Die riesigen Grünflächen wurden anstatt von spielenden Kindern schon bald von Trinkern bevölkert, während die Gebäude verwahrlosten.

Experiment gescheitert, lautete in den vergangenen Jahrzehnten die einhellige Meinung. Während seriell gefertigte Einfamilienhäuser, sogenannte Fertighäuser, immer mehr Marktanteile eroberten, ging’s im Geschosswohnungsbau ganz individuell zu.

Doch damit soll nach Ansicht von Rolf Buch, dem Vorstandsvorsitzenden von Vonovia, bald Schluss sein. Vonovia, ehemals Deutsche Annington, ist das mit Abstand größte Wohnungsunternehmen in Deutschland. Rund 360.000 Wohnungen besitzt die Aktiengesellschaft und ist damit der größte private Vermieter des Landes. Buch hat ein großes Investitionsprogramm aufgelegt, um die serielle Fertigung im Wohnungsbau voranzubringen. Ziel ist es, die Baukosten deutlich zu senken und damit auch die Miete. „Normalerweise kostet ein Quadratmeter Neubau rund 2500 Euro ohne Grundstück“, sagt Buch. In Bochum hat Vonovia gerade das erste seriell gefertigte Wohnhaus errichtet – für 1800 Euro je Quadratmeter. Das hat positive Folgen für die Mieter. „Sie zahlen deutlich weniger als 10 Euro je Quadratmeter, das wäre mit herkömmlicher Bauweise nicht möglich gewesen“, urteilt der Vonovia-Chef.

Mit den Plattenbauten der Vergangenheit habe die moderne serielle Fertigung nichts mehr zu tun, beruhigt er. Während damals Flächen, vor allem Fertigteile aus Beton, auf der Baustelle zusammengefügt wurden, kämen heute Module aus standardisierten Holzelementen zum Einsatz. „Wir transportieren keine Platten, sondern Räume“, sagt Buch. Die Produktion sei an die eines Automobils angelehnt: Das Modul, zum Beispiel ein Badezimmer, läuft über ein Fließband, wo dann Badewanne, Waschbecken und Armaturen direkt eingebaut werden. Auf der Baustelle werden dann nur noch die vorgefertigten Zimmermodule zusammengesetzt. „Das ist ein bisschen wie Lego bauen“, beschreibt Buch. Durch die Vorfertigung könnte die Bauzeit deutlich verkürzt werden – in Bochum habe der Rohbau in fünf Tagen gestanden. Dadurch seien nicht nur Kosten gespart, sondern auch die Umgebung deutlich weniger belästigt worden. „Im Gegensatz zu früher bauen wir heute nicht mehr auf der grünen Wiese, sondern füllen meistens Baulücken in bestehenden Siedlungen“, sagt er. Weil die serielle Bauweise von heute deutlich mehr Varianten zulasse als der alte Plattenbau, eigne er sich auch gut, um bestehende Quartiere zu verdichten – zum Beispiel durch Dachaufstockungen. Auf diesem Feld sieht der Wohnungsunternehmer besonders viel Potential für den Fertigbau.

Problem hoher Bodenpreise nicht gelöst

Wie serieller Wohnungsbau im 21. Jahrhundert funktionieren kann, hat Schweden vorgemacht, das Land mit den höchsten Baukosten in der EU. Die kommunalen Wohnungsunternehmen haben es geschafft, mittels serieller Fertigung um ein Viertel günstiger zu bauen: Dafür wurden drei unterschiedliche Haustypen entwickelt, die in Variationen überall im Land aufgestellt werden. 11.000 neue Wohnungen sollen so entstehen.

Muss der deutsche Wohnungsbau nur in Serie gehen und alles wird gut? Buch winkt ab. Serielle Fertigung lohne sich für die Bauindustrie nur bei sehr großen Stückzahlen. Und dann seien die Bauordnungen auch noch Ländersache. „Ein Haus, das wir in Baden-Württemberg bauen, darf 10 Kilometer entfernt in Bayern so nicht gebaut werden“, erläutert er. Deswegen fordern die Interessenverbände der Wohnungswirtschaft, dass künftig nicht mehr jedes Haus einzeln, sondern Gebäudetypen genehmigt werden können.

Auch Architekt Thomas Jocher, Professor am Institut Wohnen und Entwerfen der Universität Stuttgart, hat seine Zweifel, ob Standardisierung die Wende für mehr bezahlbaren Wohnraum bringt. Nicht die Baukosten trieben die Mieten und die Kaufpreise in die Höhe, sondern die Bodenpreise. Hier seien vor allem die Städte und Kommunen gefragt, die über die großen Flächenreserven verfügen. „Es ist eine politische Entscheidung, an wen und zu welchem Preis die Grundstücke vergeben werden“, stellt Jocher klar.

Eine Senkung der Baukosten führe nicht zu niedrigeren Mieten, sondern zu einem höheren Gewinn für die Investoren. Er kritisiert, dass die Deutschen von Jahr zu Jahr mehr Quadratmeter pro Kopf bewohnen, sich aber auf der anderen Seite über steigende Wohnkosten wundern. „Das passt einfach nicht zusammen.“ Auch von der Absenkung von Standards hält Jocher wenig. Dünne Wände und vier Stockwerke ohne Fahrstuhl, das seien die Sanierungsfälle der kommenden Jahrzehnte. Deshalb gelte architektonische Qualität vor Quadratmeter-Quantität. „Wenn es nachhaltig sein soll, muss Wohnen nicht billiger, sondern teurer werden“, sagt Jocher.

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