Immer mehr Menschen werden immer älter – ein demografisches Problem angesichts der Tatsache, dass die deutsche Bevölkerung insgesamt schrumpft. Doch es stellt auch ein bisher weitgehend unterschätztes Potenzial dar, wenn man einmal bedenkt, dass die heutige Seniorengeneration überwiegend gut ausgebildet, materiell abgesichert, körperlich und geistig fit ist. Das Buch “Wir brauchen Euch!” zeigt, “Wie sich die Generation 50plus engagieren und verwirklichen kann”. 3Sat Mediathek, 03.05.2012 / Nil Varol (Kulturzeit)
Jung und Alt zusammen: Großfamilien-Gefühl hat inzwischen Seltenheitswert. Längst ist klar, dem demografischen Wandel muss gesellschaftliches Umdenken folgen: weg vom Wohlfahrtsstaat hin zu mehr zivilgesellschaftlicher Eigenverantwortung. Hildegard Schooß ergriff schon Ende der 1970er Jahre Eigeninitiative: Sie gründete das erste Mehrgenerationenhaus Deutschlands in Salzgitter nach dem ihr vertrauten Modell der Großfamilie. Das isolierte Kleinfamilienleben genügte ihr einfach nicht.
Ein Raum für Jung und Alt
“Die Vereinzelung von Menschen tut nicht gut – weder den Kindern noch den Erwachsenen noch den alten Menschen”, so Hildegard Schooß. “Ich hatte damals die Idee: Wir brauchen einen Raum, der zentral liegt, wo alle zu Fuß hingehen können, wo man schnell sein kann, wo man aber auch immer sein kann, der also von morgens bis abends offen ist und wo jeder Mensch, der mitmachen wollte, zu jeder Zeit auch dabei sein konnte.”
“Die demografische Herausforderung, die uns allen bevorsteht”, so der Autor Loring Sittler, “und die wir nur gemeinsam bewältigen können – also Staat, Wirtschaft und Gesellschaft – ist durch ein Merkmal besonders gekennzeichnet: die Abnahme der Bevölkerung insgesamt. Wenn man das auf Erwerbstätige reduziert, nehmen wir bis 2030 um 8,3 Millionen Erwerbstätige ab. Das ist eine riesige Lücke. Wir brauchen einen neuen Arbeitsbegriff. Er muss sich von der Erwerbsarbeit lösen, mit dem er monolithisch zurzeit identifiziert wird. Und der Arbeitsbegriff muss auf Erwerbsarbeit, Familienarbeit und Freiwilligenarbeit erweitert werden.”
“Immer werden wir gehalten, die Menschen in der Gesellschaft einzusortieren und in Schubläden zu stecken”, sagt Hildegard Schooß. “Professionell reden wir dann von einem versäulten System. Es gibt die Säule für die Kinder, für die Jugendlichen, Gymnasiasten, Hauptschüler, für die Alten, die Gesunden, die Kranken. Und wir haben die Philosophie: Wer zur Tür hereinkommt, ist ein Mensch. Er wird auch als Mensch wahrgenommen – ob er ein Mann ist, eine Frau, ob gesund oder krank. Das stellt sich vielleicht hinterher heraus. Deshalb ist das Angebot, das wir machen: Kommt zusammen und äußert eure Bedürfnisse.”
“Vom Konsum allein nicht glücklich”
Der demografische Wandel erfordert einen Mentalitätswandel. Die Politik muss nicht mehr Geld zur Verfügung stellen, sondern ihre Verteilungsmuster ändern, damit Zukunftsprojekte wie das “Ginkgo Haus” für mehr Menschen bezahlbar werden. Die neuen Alten sehen ihre Erfüllung schon lange nicht mehr nur auf Golfplätzen und Kreuzfahrtschiffen. “Die Leute merken, dass man vom Konsum allein nicht glücklich wird”, sagt Loring Sittler. “Und deswegen suchen sie nach einem Sinn. Das kann ein Studium oder Meditation sein. Aber in vielen Fällen führt das zu einem sozialen Engagement, weil das beglückend ist, mit anderen Menschen zusammen zu sein, auch Alte mit Jungen – also generationsübergreifende Modelle, gerade für Leute, die keine Kinder oder Enkel haben. Das ist unglaublich wichtig für ihr eigenes Leben, weil sie dadurch ihren eigenen Lebensmut wiedergewinnen und auch Lebensqualität erhalten.” Die Bereitschaft für ein neues Miteinander ist da. Wichtig ist es jetzt, Engagierte und Engagement zusammenzubringen.