Manche sagen der Sharing Economy das Potenzial voraus, unsere Welt von Grund auf umzukrempeln und eine dritte industrielle Revolution auszulösen: nach Eisenbahn und Dampfmaschine und nach dem Computer.
So ist zum Beispiel der amerikanische Vorzeigesoziologe Jeremy Rifkin, der auch die EU-Kommission berät, überzeugt: Die neue Ökonomie des Tauschens und Teilens wird ihren Siegeszug über das bisherige Wirtschaftssystem antreten – und sogar zum Niedergang des Kapitalismus führen. Es werde ihn nicht mehr lange geben, wie wir ihn kennen, sagt er. Demnächst würden wir in einer “sozialeren Weltgemeinschaft” leben, in der wir Dinge gemeinsam besitzen, statt von großen Profiten zu träumen. Aber geht das Konzept wirklich auf?
Tatsächlich teilen immer mehr Leute: Sie überlassen ihre Wohnungen Fremden, wenn sie selbst nicht da sind. Sie bieten sich und ihr Auto beim Fahrdienst Uber an oder vermieten Haushalts- und Gartengeräte. Laut Umfragen der Unternehmensberatung PwC hat in Deutschland mehr als jeder zweite Bürger bereits Sharing-Angebote genutzt und 70 Prozent sehen sie positiver als die Angebote herkömmlicher Unternehmen. Zukünftig würden sogar noch mehr Bundesbürger Sharing-Angebote nutzen wollen. Aber ist das wirklich so solidarisch, und tun wir das aus reiner Nächstenliebe oder für eine sozialere Welt?
Die Grundidee der Sharing Economy war ja, dass große Besitztümer möglichst allen zugänglich gemacht werden, indem man sich die Kosten teilt. Die Wirklichkeit sieht oft anders aus: Proteste gegen den Fahrdienst Uber nehmen zu, dessen Fahrer auf eigene Kosten und Risiken arbeiten und in vielen Ländern die Existenz ausgebildeter Taxifahrer gefährden. Städte wie Berlin erleben längst die Auswirkungen des Sharing-Booms bei den Wohnungen: Die Mieten steigen auch deswegen, weil viele Zweitwohnungsbesitzer ihre Wohnungen lieber teuer und tageweise mit Hauptstadttouristen teilen, als sie an Dauerbewohner zu vermieten. Regen wir uns also über die Kapitalisten auf, sind aber im Grunde selbst welche, sobald sich uns die Gelegenheit dazu bietet? Vielleicht ist ja mit dem Sharing lediglich die Zeit des Großkapitals vorbei, aber dafür werden wir jetzt alle zu Kleinkapitalisten, die jedes brachliegende Kapital im eigenen Haushalt irgendwie zu Geld machen. Möglicherweise geht es aber auch viel besser.
Sieht man die Zahlen der Unternehmen an, die zumindest mit der Idee Sharing Economy werben, wie Uber, Airbnb, Lendico und Co., dann scheint der Wandel rasant voranzugehen. Die Nutzerzahlen der Firmen steigen schnell und Finanziers geben immer neue Milliarden in den Markt. Zumindest ist Sharing ein Trend, den auch die Unternehmen des Silicon Valley längst zum ultimativen Hype ausgerufen haben.
Teilen, wenn die Zeiten unsicher sind
Befördert wird dieser Trend zum Teilen offenbar auch von den jüngsten Phasen, in denen der Kapitalismus seine Schwächen zeigte: Jedenfalls beobachten Ökonomen, dass Menschen in Zeiten, in denen es Staaten schlechter geht, stärker zum Teilen neigen. Sie sagen, dass nach der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 Tausch- und Teilkreise europaweit enormen Aufschwung gehabt hätten. In Griechenland habe man seit 2012 ebenfalls einen Tauschboom feststellen können. Im Grunde sei es schon immer so gewesen, dass sich Menschen aufs Tauschen, Teilen, Abgeben und Kooperieren besonnen hätten, wenn Kriege und Krisen sie an den Rand der Existenz führten.
Kein Wunder, sagen auch Altruismusforscher wie Sabine Tebbich von der Universität Wien oder der Philosoph Philip Kitcher von der Columbia-Universität New York. Denn das Teilen stecke in den Wesenszügen von Mensch und Tier. In Studien mit Affen und Kleinstkindern haben Wissenschaftler herausgefunden: Alle geben ab und sie gehen anderen unaufgefordert zur Hand, wenn sie merken, dass jemand Hilfe benötigt. Auch wenn sie dafür keine unmittelbare Gegenleistung erwarten können oder auf einen Teil ihres eigenen Essens oder Besitzes verzichten müssen.
Sharing Economy als kollaborativer Konsum
Eines bezweifeln allerdings viele Sharing-Economy-Experten: dass die kommerzielle Tauschökonomie in ihrer derzeitigen Form automatisch auch sozialere Verhaltensweisen hervorbringt. Die Historikerin Luise Tremel von der Stiftung Zukunftsfähigkeit erforscht gesellschaftliche Veränderungsprozesse und sagt es so: “Was Uber und Airbnb betreiben, ist gar kein Teilen. Dort kapitalisieren lediglich Leute ihre Wohnungen in guten Stadtteilen, damit andere Leute mit ohnehin guten Zugangschancen zu Gütern sie mieten können.” Auf einem Symposium in Weimar zum Thema bekam sie für diesen Satz großen Applaus, genau wie für die Ergänzung: “Sankt Martin hat geteilt – und der hat auch nicht seinen Mantel, als er ihn nicht brauchte, stundenweise vermietet.”
Andere Sharing-Economy-Fachleute sehen das ähnlich und präzisieren: Viele Sharing-Angebote erweiterten eher den klassischen Markt, indem sie ihn öffnen für all diejenigen, die “temporäre Benutzerrechte kaufen und verkaufen”. Selbst Rachel Botsman, australische Erfinderin des Begriffs vom “kollaborativen Konsum”, sagte beim Symposium in Weimar, die neue Ökonomie des Teilens diene dazu, dass nicht genutzte Kapazitäten von Wohnungen, Autos oder menschlichem Wissen, noch besser verwertet werden und effizienter genutzt. Hier werde kapitalisiert, was dem Wirtschaftskreislauf bisher entzogen war.
Nishant Shah, Sharing-Experte der Leuphana Universität Lüneburg, warnt sogar: “Das Einzige, was in der Sharing Economy wirklich geteilt wird, ist der Mensch und seine Kapazitäten.” Man müsse aufpassen, dass sich nicht gerade Kleinverdiener aus Not selber ausbeuten, indem sie ihre Zeit und ihre Dienstleistung als Kleinstselbständige billig in den Dienst großer Sharing-Unternehmen stellen. Während die großen Firmen die Gewinne abgreifen. Das klingt tatsächlich eher nach noch mehr Kapitalisierung als nach einer schönen und sozialeren neuen Welt.
Es geht allerdings auch anders, sagt die Historikerin Luise Tremel. Sie sammelt Ideen dafür, wie aus Teilen ein gutes Teilen wird, das die Menschen wirklich sozial weiterbringt, und veröffentlicht solche Ansätze im Projekt Futureperfect. In Tremels Augen ist das in drei Fällen gegeben: 1. Wenn weniger Ressourcen verbraucht werden; 2. Wenn Teilen mehr menschliche Begegnungen schafft; 3. Wenn es denjenigen Zugang zu Waren, Arbeit und Dienstleistungen ermöglicht, die diesen Zugang sonst nicht hätten. Das klingt abstrakt, aber es gibt anschauliche Beispiele dafür, wie es geht:
Digitale Nachbarschaft
Die Siedlung Burgunder in Bern ist so ein Beispiel. Dort haben die Bewohner gemeinsam eine Siedlung aus nachhaltigen Baustoffen gebaut. Die 40 Wohnungen haben eines nicht: Parkplätze. Statt den knappen Raum in der Stadt mit Stellplätzen zu vergeuden, haben die Bewohner lieber Grünanlagen angelegt und sich zum Carsharing verpflichtet. Insgesamt schonen sie dadurch die Umwelt, sparen Geld und Platz.
Auch die grünen Gassen von Montreal zeigen, wie man mehr menschliche Begegnungen selbst in einer Millionenstadt wieder möglich machen kann. Durch die einfache Idee, Straßenzüge zu begrünen. In Montreal gab es in den 1990er Jahren noch viele betonierte Verbindungswege zwischen einzelnen Vierteln und Häusern. Organisiert in Initiativen haben die Bewohner ihre Straßen seitdem immer weiter bepflanzt und berankt, haben Sitzplätze angelegt und veranstalten regelmäßig Straßenfeste. Inzwischen gibt es bereits mehr als 230 solcher Straßenzüge. Und es werden noch immer mehr. Nun teilen die Bewohner dieses historischen Viertels weit mehr als nur den Wohnort, nämlich auch ihre Freizeit.
Solche Bürgerinitiativen für mehr Nachbarschaft gibt es inzwischen in fast jeder Stadt. Mancherorts treffen sie sich zum Feiern oder bauen Begegnungsstätten auf, anderswo hauchen sie entvölkerten Ortskernen und Tante-Emma-Läden wieder neues Leben ein. Anlaufstellen gibt es zum Beispiel auf der Website www.netzwerk-nachbarschaft.net, die viele Ideen bündelt.
Auch digital kann man mehr Nachbarschaft initiieren, beweisen neue Apps wie nebenan.de und WirNachbarn. Bei ihnen registrieren sich alle, die mehr Kontakt zu ihren Nachbarn und anderen Viertelbewohnern haben wollen. Hier kann man sich gegenseitig Hilfe beim Babysitten und Einkaufen anbieten; anderen Dinge schenken, die man nicht wegwerfen möchte; Hofflohmärkte und Feste organisieren; oder sich einfach auf ein gemeinsames Bier verabreden. Bei anderen Offline-Nachbarschaftsinitiativen rufen Aufkleber an Haustüren auf: Klingle bei mir, wenn Du Handwerkerutensilien oder Küchengeräte brauchst!
Im Grunde wollen solche Initiativen eines: Dass Menschen nicht nur nebeneinander wohnen, sondern wieder mehr miteinander reden. Dazu trügen auch feste Tauschorte bei, sagt Luise Tremel. Dorfläden und Stadtteiltreffs, in denen Pakete abgegeben, Kleidung getauscht und geratscht werden kann. Wenn die dann noch als Jobbörsen funktionieren, sei das umso besser.
In die Kategorie “Zugänge schaffen” fällt etwa das Prinzip der essbaren Stadt, das es bereits in einigen Kommunen gibt. Dort haben die Städte entweder selbst Parks mit Obst- und Gemüsepflanzen bestückt, oder gemeinnützige Vereine haben hier Hand angelegt. So kann jeder Stadtbewohner sitzen, jäten, ernten und genießen, auch wenn er keinen eigenen Garten hat. Das funktioniere sogar, vermelden Städte wie Andernach, Minden oder Kassel. Außerdem taugen die Großgärten als Ausbildungsstätten für Langzeitarbeitslose und eröffnen ihnen so vielleicht wieder den Weg in den Beruf.
All diese Ideen stehen in den Augen der Forscher für das sogenannte gute Teilen, weil sie wirklich eines schaffen: Sie sorgen für mehr sozialen Reichtum.
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