325.000 Quadratmeter Entwicklungsgebiet

Auf dem Klybeckareal, einst Hauptsitz der in Novartis, BASF und anderen aufgegangenen Ciba-Geigy werden große Flächen für die Stadtentwicklung frei / Erste Bauten 2023. (Badischen Zeitung, von Michael Baas)

Werk klybeck_eigentumsverhälnisse

BASEL. Der Basler Norden ist städtebaulich in Bewegung. Tatsächlich sind die Industrie- und Hafenareale an Rhein und Wiese in Kleinbasel die größte zusammenhängende Entwicklungsfläche des Kantons.

Eines der Vorhaben da ist “Klybeck plus”; der Titel steht für die Transformation des Firmenareals der nach 1996 in Novartis, BASF und anderen Firmen aufgegangenen Ciba-Geigy. Mit rund 325 000 Quadratmetern ist es das größte Entwicklungsgebiet in Basel überhaupt und für die Stadt von “großer Bedeutung”, sagte Kantonsbaumeister Beat Aeberhard in einer Beteiligungsveranstaltung am Samstag.

Die Geschichte
Im frühen 19. Jahrhundert war das Gebiet noch Überflutungsgebiet für Wiese und Rhein. Im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung aber wurde es von 1860 an zum Standort der im Stadtkern zunehmend ungelittenen Farbstoffwerke. So entstand ein Patchwork vergleichsweise kleiner Firmen, die durch wechselseitige Übernahmen und Fusionen nach und nach zum Großbetrieb (Ciba) wurden. Im und nach dem 1. Weltkrieg und der damit verbundenen Ausschaltung der deutschen Konkurrenz beschleunigte sich dieser Aufstieg der Basler Textilchemie, weiß Novartis-Archivar Walter Dettwiler. In den 1920er Jahren entstanden erste große Industriebauten; bis in die 70er Jahre entwickelte sich das Areal schließlich zu der geschlossenen, dicht bebauten Industriezone, als die es heute wahrgenommen wird.

Die Positionen der Eigentümer
Tatsächlich sind inzwischen viele Gebäude auf dem heute der BASF und Novartis gehörenden Areal (Grafik) ungenutzt. Der Ende der 40er-, Anfang der 50er-Jahre entstandene riesige Pharmakomplex mit der signifikanten Backsteinklinkerfassade (großes Foto) am Ostrand zwischen Wiese und Autobahn etwa ist nurmehr eine Hülle. Auch die zeitweise vom US-Konzern Huntsman genutzten Textilchemiegebäude liegen mittlerweile still und werden dieser Tage chemiefrei gemacht. Gleichwohl befinden sich nach wie vor rund 2250 Arbeitsplätze auf dem Areal, rund 250 bei der BASF, 2000 bei Novartis. Die BASF, die mit der Ciba Spezialitätenchemie 2009 knapp die Hälfte des Areals übernommen hat, dort inzwischen aber nur mehr den Schweizer Hauptsitz betreibt, will sich denn auch ganz von ihren 120 000 Quadratmetern trennen, schildert Standortleiterin Michèle Perregaux. Zwar halte BASF am Standort Basel, wo der Konzern noch rund 530 Mitarbeitende hat, fest, suche aber mittelfristig ein geeignetes Mietobjekt.

Novartis dagegen will etwa ein Drittel seiner 165 000 Quadratmeter behalten, erläutert deren Projektleiter Markus Oser. Dabei geht es um die zwei Parzellen direkt am Rhein, gegenüber des Campus’ (Grafik), wo auch das in den 50er-Jahren entstandene Hochhaus am Kopf der Dreirosenbrücke steht. In diesen zwei Teilarealen betreibt der Konzern nach wie vor Labors, ein Rechenzentrum und dort sitzt der Onkologiebereich, den der Konzern stark forciert. Das soll zunächst auch so bleiben, sagt Oser. Die Flächen und Immobilien seien nicht zuletzt ein “Überlauf für den Campus” – zumal in nördlichen Bereich über eine weitere Fußgängerbrücke über den Rhein nachgedacht wird. Gleichwohl werde Novartis die Nutzungen auch in dem Bereich optimieren, so dass Flächen frei werden für Dritte und das Areal geöffnet wird für die Öffentlichkeit. Das zwischen Mauer-, Gärtnerstraße und Wiese gelegene Areal (Grafik) dagegen will auch Novartis verkaufen, selbst wenn da heute zum Teil noch produziert wird.

Gute Geschäfte indes erwarten die Konzerne mit den Grundstücken und Immobilien zunächst nicht. Vielmehr sollen die Erlöse primär den Rückbau der Infrastruktur und die gegebenenfalls notwendigen Sanierungen decken. Nach ihren eigenen Angaben gehen beide dabei derzeit aber zumindest von einer schwarzen Null aus, das jedenfalls sagt Ferenc Dene aus der BASF-Immobilienabteilung.
Die Ziele des Kantons
Für den Kanton sei die Entwicklung “ein Glücksfall”, sagt Kantonsbaumeister Aeberhard. Denn sie eröffne mehrere Optionen. Das beginnt für den notorisch mit Flächenknappheit ringenden Stadt-Kanton mit der Chance, neue Betriebe und Industrien anzusiedeln. So werden vorab denn auch 50 000 Quadratmeter als Wirtschaftsfläche reserviert. Vor allem aber eröffnet sich eine Chance zu weiterem Wohnungsbau, und zwar in vielen Facetten – von genossenschaftlichen und studentischen Wohnformen bis zu Eigentum. Letztlich sei das ein weiterer Baustein, Pendlerströme aus dem Umland einzudämmen. Tatsächlich strebe der Kanton mit seinen Entwicklungsgebieten auch an, das Wachstum zwischen Arbeitsplätzen und Bevölkerung besser auszubalancieren, sagt Aeberhard. Eine Position, die viele vom Basler Boom profitierende Umlandgemeinden – auch die im Kreis Lörrach – wohl mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis nehmen werden.

Zudem biete die Entwicklung die städtebauliche Chance, den trennenden Charakter des Gebietes, das sich “wie ein Riegel” in die Stadt schiebt, aufzubrechen und die umliegenden Viertel besser zu vernetzen – zumal in Verbindung mit dem direkt anschließenden trinationalen Stadtentwicklungsprojekt “3Land” am und um den Hafen Kleinhüningen. “Es gibt Schnittpunkte”, weiß Aeberhard denn auch. So sollen die Mauer- und die Kleinhüninger Straße zum Rhein verlängert und eine Tram ins Areal gelegt werden. Das alles aber solle nicht im Kahlschlagverfahren realisiert werden, betont die kantonale Projektleiterin Katrin Oser; vielmehr sei es das Ziel, an die Geschichte des Areals anzuknüpfen, dieses als Mischgebiet zu entwickeln und Konflikte durch Planung zu minimieren. Als Testballons dafür sind Zwischennutzungen angedacht; 2023 sollen dann erste Bautätigkeiten beginnen.

Die Belastungen
Als Industriegebiet wird das Areal samt der Grundwasserströme schon lange regelmäßig kontrolliert und überwacht – zumal die Industriekläranlage erst Anfang der 80er Jahre entstand, das Werk Klybeck aber in die letzten 150 Jahre fast flächendeckend Chemiestandort war, wie Livio Ulmann vom Altlastenmanagement der BASF betont, und in den Anfängen der chemischen Industrie noch leckanfällige Tonleitungen verwendet wurden. BASF und Novartis stünden da als Rechtsnachfolger aber gerade für alle Vorgängerfirmen, erläutern Ullmann und Ulrich Weber vom Umweltschutz bei Novartis. Indes seien auf Basis der regelmäßigen Kontrollen und einer detaillierten ergänzenden technischen Untersuchung von 2014/15 derzeit “keine Belastungsüberraschungen zu erwarten”. Zwar gebe es immer wieder Spuren von Teer, Schwermetallen, Kohlenwasserstoffen oder gar chlorierter Lösungsmittel, das aber deutlich unterhalb kritischer Grenzwerte.

Lediglich in einigen Parzellen in der Mitte des Areals parallel zur Mauerstraße, wo bis 2013 noch Textilfarbstoffe produziert wurden, gebe es definitiv Sanierungsbedarf. Darüber hinaus aber deuteten alle Untersuchungsergebnisse darauf, dass mittelfristig einzelne Flächen ganz aus dem im Basler Kataster belasteter Standorte hinterlegten Überwachungsbedarf herausgenommen werden können, ist Weber sicher. Im Endeffekt sei das Areal so sogar besser auf Kontaminationen geprüft als andere Bereiche. Schließlich sei das Gebiet zwischen Wiese und Rhein bis in die 20er Jahre immer wieder aufgefüllt worden mit Aushubmaterial, Bauschutt, Haus- und Gewerbeabfällen und bis zu fünf Meter hochgelegt worden.

Denkmalschutz
Auf dem Areal stehen zahlreiche Bauten, die denkmalpflegerisch von Bedeutung sind. Dazu zählt die im Lauf der Jahre immer wieder erweiterte und aufgestockte Gründerzeit Villa von Alexander Clavel, die der BASF heute als Domizil dient; dazu zählen aber auch der erwähnte große Pharmakomplex, der Produktionsbau K 90, zeitweise das größte Textilfarbstoffwerk der Welt, das in der jüngeren Vergangenheit mit außen angebrachten Stahlstreben noch aufwändig erdbebensicher gemacht wurde (Foto), ein Parkdeck oder die Kantine am der Ecke Mauer-, Gärtnerstraße – insgesamt ein heterogenes Ensemble, schildert der stellvertretende Leiter der kantonalen Denkmalpflege Thomas Lutz, aber eben auch ein Spiegel der erst im 19. Jahrhundert aufkommenden Industriearchitektur und auch insofern etwas Besonderes.

Gleichwohl stehe der Denkmalschutz nicht an erster Stelle der Arealentwicklung weiß Lutz, aber eben auch nicht an letzter. Zwar sei die Nachnutzung auf sehr spezielle Funktionen wie Produktion hin ausgelegter Gebäude immer schwierig, wenn die ursprüngliche Nutzung entfalle und “Gebäude ohne Nutzwert sind in Lebensgefahr”, weiß Lutz. Indes sei es eben auch ein Anliegen, die Tradition des Areals mit den neuen Nutzungen nicht zu eliminieren, sondern im Bewusstsein zu halten. Das aber müsse für jedes Gebäude im politisch-gesellschaftlichen Prozess ausgehandelt werden. Faktisch unter Denkmalschutz stehe bislang aber noch keines der Bauwerke.

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